Information für Zahnärzte und zahntechnisches Personal

Grundlagen
Immer mehr Menschen wollen zahnfarbene Materialien als Zahn-Restaurationswerkstoffe. Dabei soll natürlich gewährleistet sein, dass diese Materialien nicht nur gut ausschauen und gut halten, sondern dass sie auch gut verträglich sind. Wachsendes Interesse erlangen deshalb Fragen nach der Toxikologie, Biokompatibiliät und Verträglichkeit dieser Werkstoffe. (Ko)Monomerverbindungen werden in der Zahnmedizin, z.B. in Komposit-Zahnfüllungen und Dentinadhäsiven verwendet. Diese Verbindungen können aus diesen Zahnwerkstoffen freigesetzt, nach der Resorption in den menschlichen Organismus gelangen und Nebenwirkungen auslösen.

Toxikologie von Zahnmaterialien
Um die Toxikologie/Biokompatibiltät/Verträglichkeit von Zahnwerkstoffen ermitteln und vergleichen zu können werden bestimmte Tests eingesetzt, z.B. Tests auf Cytotoxizität, Mutagenität, Cancerogenität, Embryotoxizität oder Teratogenität. Ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung der Toxikologie ist die Aufklärung der Resorption, Distribution, Metabolismus und Elimination einer Substanz im Organismus. Nur resorbierte Substanzen können Schadwirkungen auslösen. Ein wichtiger Punkt ist die Aufdeckung des Metabolismus der zu untersuchenden Substanz. In Tierstudien konnte gezeigt werden, dass die aus Kompositen freigesetzten und verschluckten (Ko)Monomere Hydroxyethylmethacrylat (HEMA), Triethylenglycoldimethacrylat (TEGDMA) und Bisphenolglycidylmethacrylat (BisGMA) vollständig resorbiert und im Körper zu Kohlendioxyd abgebaut werden. Es konnte ferner gezeigt werden, dass bei dieser Verstoffwechselung Intermediate gebildet werden können, die ihrerseits wieder starke toxische Wirkungen zeigen können – also „gegiftet“ werden. Beim Abbau von bestimmten aus Zahnkunststoffen freigesetzten Inhaltsstoffen, wie z.B. HEMA und TEGDMA, konnte in menschlichen Lebermikrosomen sogar die Bildung des Epoxy-Intermediats 2,3-Epoxymethacrylsäure nachgewiesen werden. Epoxy-Verbindungen gelten als sehr toxische Verbindungen.

Risikoabschätzung (risk assessment)
Für eine wissenschaftlich fundierte Risikoabschätzung muss jedoch bekannt sein, wie viel von einer Substanz aus den Materialien freigesetzt wird, wie viel tatsächlich vom Organismus resorbiert wird und ab wann mit gesundheitlichen Problemen bei Betroffenen zu rechnen ist. (Ko)Monomere erreichen im Speichel des Menschen nach der Elution aus Komposit-Füllungen maximal ‚nur’ micromolare Konzentrationen. Toxische Wirkungen dieser Stoffe treten jedoch erst im millimolaren Bereich auf.

Auslösung von Allergien durch Zahnmaterialien
Dennoch ist zu beobachten, dass bei einer steigenden Anzahl von Patienten nach der Zahnrestauration, z.B. mit Kompositfüllungen, Nebenwirkungen auftreten. Diese Nebenwirkungen können von unangenehmen lichenoiden Reaktionen bis hin zu schwerwiegenden allergischen Symptomen (z.B. Asthma, Ekzeme) reichen. Mittlerweile konnten als Auslöser solcher Reaktionen, die in der Zahnmedizin häufig verwendeten Methacrylate, wie z.B. HEMA und TEGDMA, eindeutig identifiziert werden.

Freisetzung von Inhaltsstoffen aus Zahnmaterialien
In weiteren Untersuchungen wurde von vielen kommerziell verfügbaren Kompositen, Dentinadhäsiven, Wurzelkanalfüllmaterialien, Prothesenmaterialien, Fissurenversieglern, Zementen, Keramiken, Dental-Legierungen, Implantate u.a. die Freisetzungsraten von Inhaltsstoffen qualitativ und quantitativ bestimmt. Durch diese Untersuchungen konnte mittlerweile die weltgrößte Datenbank zur Freisetzungsrate dieser Inhaltsstoffe aus Zahnmaterialien aufgebaut werden.
In Zusammenarbeit mit Kliniken und Instituten an der Ludwig Maximilians Universität München, an der Technischen Universität München und am Helmholtz-Zentrum in Neuherberg/München wurde ein Allergie-Testverfahren entwickelt, zum Nachweis einer evtl. bestehenden Allergie gegenüber Inhaltsstoffen aus Zahnmaterialien.
Patienten dürfen auf keinen Fall Zahnmaterialien erhalten aus dem Stoffe freigesetzt werden können gegen die der Patient eine Allergie zeigt.

Verfahren zur Allergietestung
Zur Testung einer allergischen Reaktion gegenüber Zahnmaterialien wird heute bevorzugt und als Standardverfahren der Epikutantest durchgeführt. Hierbei wird eine Serie von Testpflastern auf die Haut aufgeklebt, um festzustellen, ob eine Allergie gegen die getestete Substanz vorliegt. Dieser Test zeigt, ob eine Kontaktallergie vom Spättyp vorliegt [Przybilla et al. 2008]. Es sei hier auch ausdrücklich hervorgehoben, dass fertige Prüfkörper aus polymerisierten Materialien nicht im Epikutantest eingesetzt werden können, da aus eigenen Untersuchungen bekannt ist, dass einige relevante Inhaltsstoffe aus Komposits erst nach 6 Monaten freigesetzt werden. Ein Epikutantest dauert aber nur 4 Tage, weshalb hier diese Substanzen damit gar nicht erfasst werden können.

Andererseits wurde in äußerst wenigen Fällen gesehen, dass Allergien und Kreuzallergien durch Anwendung des Epikutantests getriggert werden können. Dies wäre beim Lymphozytentransformations-Test (LTT) nicht der Fall, da keine direkte Exposition mit dem Allergen erfolgt [Guidelines for diagnostic validity 2008]. Aufgrund der von den Allergologischen Gesellschaften und vom Robert-Koch-Institut proklamierten (derzeit) eingeschränkten Anwendung des LTT zur Testung von Zahnmaterialien bei Patienten mit Unverträglichkeiten/Allergien gegenüber dentalen Restaurationsmaterialien besteht allerdings derzeit keine Alternative zum Epikutantest für diese Materialien [Guidelines for diagnostic validity 2008].
Für den Patienten ist es in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass für bestimmte freigesetzte Inhaltsstoffe aus Kunststoff-Zahnmaterialien der Epikutantest den anderen Testverfahren vorgezogen wird, da der LTT bei freigesetzten Inhaltsstoffen aus dentalen Kunststoffen, Klebern, Adhäsiven, Zementen, Prothesenmaterialien und anderen Zahnmaterialien, offensichtlich durch unspezifische Proteinbindungen falsche Ergebnisse liefern kann und somit zur Auswahl eines falschen Zahnmaterials führen kann.
Warum dieses so ist und welche biochemischen Reaktionen bei Kunststoffen eine Rolle spielen, wird aktuell auf universitärer Ebene intensiv erforscht.

Für die Fülle der zu testenden Substanzen wäre der LTT auch nicht seriös zu vermitteln, weil die Kosten dafür viel zu hoch wären. Für die Auswahl des verträglichsten Materials für den Patienten müssen die eluierten also freisetzbaren Inhaltsstoffe, Reaktions- und Destruktionsprodukte getestet werden.
Oft wird zwischen dem Auftreten einer klinischen Symptomatik und dem Nachweis einer bestehenden Allergie im Epikutantest (ohne klinische Symptomatik) unterschieden. Patienten sollten kein Material erhalten, aus dem Substanzen freigesetzt werden können, gegen die der Patient eine im Epikutantest positive Reaktion zeigt. Dies ist unabhängig von seiner klinischen Symptomatik. Nach positiver Diagnostik im Epikutantest (erst in diesem Falle spricht man von einer nachgewiesenen Allergie) erfolgt die Ausstellung eines Allergiepasses. Fachkollegen aus der Allergologie/Dermatologie führen an, wenn ein Patient mit einer nachgewiesenen bestehenden Allergie (ohne klinische Symptomatik) einen Stoff erhält bzw. dem Stoff ständig exponiert ist, ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer klinischen Symptomatik zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich höher.

Patienten mit einer klinischen Symptomatik und positiven Epikutantest dürfen unter keinen Umständen ein Zahnmaterial erhalten gegen das der Patient eine Allergie zeigt. Festzuhalten bleibt, dass es nicht allein entscheidend ist, ob der Patient eine klinische Symptomatik zeigt gegen ein aus Zahnmaterialien freigesetztes Allergen oder nicht. Selbst in der gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn- Mund und Kieferheilkunde (DGZMK) wird aufgeführt, dass ein Komposit kontraindiziert ist bei Patienten mit (klinisch) relevanten Allergien gegenüber Inhaltsstoffen von Komposits bzw. Adhäsiven [Stellungnahme der DGZ und DGZMK 2005].

Auswahl des verträglichsten Zahnmaterials für den Patienten
Heute ist es möglich nach dieser Allergietestung für den betroffenen Patienten das für ihn verträglichste, d.h. optimalste Füllungsmaterial vor einer anstehenden Zahnrestauration auszuwählen. Es kann auch bestimmt werden, ob ein Zahnmaterial bereits im Mund ist, das nicht vertragen wird und für seine bestehende Symptomatik verantwortlich sein kann. Patienten mit Verdacht auf bestehende Allergien oder schon bestehenden Beschwerden gegenüber freisetzbaren Inhaltsstoffen aus Zahnmaterialien wird dringend empfohlen vor einer anstehenden Zahnrestauration das Internationale Beratungszentrum für die Verträglichkeit von Zahnmaterialien aufzusuchen.
Durch diese Maßnahmen kann der betroffene Patient mögliche entstehende Nebenwirkungen vorbeugen und der behandelnde Zahnarzt kann die oft unangenehmen Streitigkeiten bei Auftreten von Unverträglichkeiten beim Patienten im Vorfeld aus dem Weg gehen. Patient und Zahnarzt befinden sich somit immer auf der sicheren Seite.

Wo und wie bekomme ich Hilfe?
Zahnärzte sollten folgende Daten ihrer Patienten an das Beratungszentrum per E-Mail übermitteln:

Internationales Beratungszentrum für die Verträglichkeit von Zahnmaterialien BZVZ
Ludwig-Maximilians-Universität München LMU und Ärztehaus am Tegernsee
Leiter: Univ.-Prof. Dr. Dr. Franz-Xaver Reichl
E-Mail: reichl@lmu.de

1. Patientenname
2. Telefonnummer des Patienten (Festnetz und Handynummer)
3. Kurze (!) Beschreibung der Beschwerden des Patienten
4. Adresse und Telefonnummer des behandelnden Zahnarztes

Vom Zahnarzt übermittelte hilfesuchende Patienten erhalten dann schnellstmöglich einen Rückruf zur Zahnberatung.

Nach Testung und Auswahl des verträglichsten Zahnmaterials wird der Patient zur Zahnrestauration zu seinem Zahnarzt zurückgeführt, der dieses ausgewählte Zahnmaterial beim Patienten einsetzt.